Laisse Béton! – Unterschiede im Umgang mit genderinklusiver Sprache im europäischen Raum

von Maja, 11.5.2022

Habt ihr schon einmal etwas vom Deutschen Sprachrat gehört? Vielleicht von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung? Oder wie wär’s mit dem Verein Gesellschaft für Deutsche Sprache e.V.?

Falls euch auch nur eine dieser offiziell anmutenden Einrichtungen etwas sagt: Da habt ihr mir und meiner abiturgeprüften Allgemeinbildung offiziell etwas voraus. Mir sind sie in meinen 20 Jahren Lebenszeit nie begegnet. Anders verhält es sich jedoch mit ihrer großen französischen Schwester: L‘Académie Française. Auch bekannt als: die Schirmherrin aller realitätsfernen Korrektheit der französischen Sprache! Gatekeeper (oder besser: versuchte Rausschmeißerin) der unsittlichen Anglizismen! Und zu guten 76% Stammtisch alter, weißer Männer (Stand 2022).

Das erste Mal muss ich von ihr irgendwann in den Anfängen der sieben Jahre des mir unfreiwillig auferlegten Französischunterrichts gehört haben. Schon damals wurde mir verständlich gemacht, dass ihre Mitgliedern ihre Relevanz grundsätzlich höher einschätzen, als es ihnen vom Rest der Gesellschaft zugestanden wird. So richtig wurde ich aber erst wieder mit ihrer Existenz konfrontiert, als ich mich entschloss, es doch nochmal mit der mir unliebsamen langue de l‘amour aufnehmen zu wollen. Als ich mich nach meinem Abitur mitten ins kleine, französischsprachige Wallonien, Südbelgien, begab.

Umgeben von den gleichermaßen auf die Sprache der Wallonier*innen snobistisch hinabblickendem Nordbelgien und Frankreich, meine ich festgestellt zu haben, dass der gemeine Südbelgier sich und sein Französisch nicht ganz so akademisch nimmt. Die Académie Française ist jedoch nicht nur für Deutsche und Belgier*innen tendenziell lachhaft. Auch jeder Person, die gebürtig aus dem Land der noblen Institution kommt und ich hier treffen durfte, entweicht bei der bloßen Erwähnung ihrer eine Anekdote- Über ihre lachhafte Ferne von der Natürlichkeit des globalisierten Sprachwandels, über die Debatte um le oder la Covid, courriel und e-mail und die oft in Frage gestellte Legitimität der Anglizismen *ähem, franz. Akzent* déodorant, cover girl, oder leader...

Ereignen tut sich dies außerdem dabei im Verdrängen des Französisch, was die Zukunft Frankreichs in den Straßen ihrer Hauptstadt spricht. *Ähem, einmal französische Jugendsprache, bitte*: «Bref: c’est du cefran chelou, quoi!? Laisse béton. Cimer! »

Umso überraschter war ich im angesichts dieser liberalem Ansichten, als ich bei der Erwähnung meiner Sympathie der genderinklusiven Sprache gegenüber auf Widerstand traf. Im Laufe von Diskussionen mit meinen (nach meinen Maßstäben) progressiven frankophonen Freund*innen musste ich feststellen, dass sie alle ja sehr für Gleichberechtigung, Gender Expression, „gleiche Rechte für alle“ sind, und so…aber bei ihrer Sprache, da hört die Inklusivität dann halt auf.

„Das kann ja niemand mehr aussprechen.“
„Im Französischen ist maskuline Form nun einmal das generische Neutrum, das kann man nicht ändern.“
„Ich bin mit Französisch aufgewachsen und aus mir konnte auch eine emanzipierte Frau werden.“
„Das ist nicht so einfach wie im Deutschen, wo es ein neutrales Pronomen gibt.“

Natürlich ist die französische Sprache der deutschen nicht gleich, besitzt schon prinzipiell als romanische Sprache Ebenen der erforderlichen Sprachangleichungen, die wir im Deutschen nicht beachten müssen. Die Andeutung jedoch, ein dahingehender Aufwand würde gemessen am als gering eingeschätzten Einfluss besonders der französischen Sprache nicht gerecht, erweist sich für mich schließlich doch als Indiz für eine kleine und verbreitete Sympathie mit der Académie. Eine Institution, die sich so vehement selbst gegen eine binär-geschlechtsinklusive Sprache sträubt, dass sie noch bis zum Jahr 2019 schon die Ergänzung feminisierter Versionen nur als maskulin etablierter französischer Berufsbezeichnungen kategorisch ablehnte.

Die Debatte rund um die Sinnhaftigkeit inklusiver Sprache ist im Kern auch immer eine Debatte darüber, was Sprache bedeutet, ob, wie und wen sie beeinflusst und auf welche Seite des Wechselspiels zwischen ihrer natürlichen Evolution und versuchter Kontrolle man sich positioniert.

Für mich ist Sprache immer eine Dimension von gelebter Realität und dient so auch als Zugang zu der Lebensrealität anderer. Menschen mit Auslandserfahrung erzählen oft, das Erlernen einer Fremdsprache erlaube das Verständnis einer anderen Perspektive auf die Welt. Was den meisten im Kontext von Kultur und verschiedener Landessprachen in der Regel auch ohne eigene Erfahrungen nachvollziehbar erscheint, überträgt sich meiner Meinung nach jedoch auch auf die Nuancen innerhalb einer Sprache.

Im Angesicht der Allgegenwärtigkeit von Sprache bin ich sowohl von ihrer sozio-kulturellen Einflusskraft, als auch von der Sinnhaftigkeit einer strukturellen Änderung ihrer überzeugt. Unbestreitbar ist für mich gleichwohl die persönliche Beziehung jedes Menschen mit Sprache, vor allem Muttersprache, und die damit verbundene Emotionalität und Identifikation. Ihr identitätsstiftender Charakter scheint mir in Deutschland grundsätzlich weniger intensiv präsent als in Frankreich, bedienen wir uns doch jedes Jahr des Jugendworts des Jahres als lächerliche, publikumsnahe Schlagzeile in der Tagesschau - und haben dem Duden noch keine monopolistische Akademie zur Seite gestellt. Dennoch verstehe ich ein bisschen die Empörung meiner Freund*innen, wenn ich ihnen nahelege, zum Beispiel die Pronomen im Französisch seien grundsätzlich zu hinterfragen. Mir als Außenstehende falle es natürlich leicht, Kritik zu äußern und Sprachrevolutionen in den Raum zu werfen.

Was mir nicht leicht fällt? Zu akzeptieren, dass ich in der pronominalen Beschreibung einer Gruppe von Forscher*innen, Autor*innen, Demonstrierenden oder Führungskräften in einer französischen Zeitung schlichtweg untergehen würde, wenn sich auch nur ein (1!) Mann in dieser Gruppe befände [1]. Sichtbarkeit und Repräsentation sind Grundsteine der Gleichberechtigung. Denn ist meine Existenz als Forscherin, Autorin, Demonstrierende schriftlich nicht benannt, existiere ich weder in dieser schriftlichen Interpretation von Realität, noch der der Lesenden. Ebenso wenig wie nicht-binäre Individuen, wenn sie unter Kategorien gefasst werden, die sie nicht bezeichnen.

Wird eine Sprache, die sich nicht der Repräsentation jeder*m ihr verschriebenen Sprecher*in und Autor*in widmet, dem Menschen hinter der Sprache überhaupt gerecht? Auf dem Weg in eine inklusivere Gesellschaft scheint mir so das Infragestellen von um ihre romantisierte Stagnation bemühten Sprachen unumgänglich.

Ironisch, dass das verlan (jugendsprachliche Verdrehen von Silben französischer Worte) der alltäglichen Phrase „Laisse tomber!“(„Lass‘ fallen“ im Sinne von „Lass gut sein, hat sich erledigt“) das Äquivalent „Laisse béton“ (wörtlich: „Lass Beton.“) beschert. Jemanden auffordern, etwas aufzugeben oder keinen zweiten Gedanken zu widmen, wird so mit einem sprachanalytischen Auge mit der Metapher von starrem Beton komplimentiert. Ich glaube, das gute alte Französisch könnte sich durchaus ein bisschen mehr Flexibilität erlauben. Während sich die Sprachen Europas weiterentwickeln, wird auch die Académie Française irgendwann feststellen müssen, dass langfristiger Einfluss auf Sprache mit ein paar besseren Argumenten als Patriotismus daherkommen muss. Vielleicht könnten sie ja einen Draht zu modernen Perspektiven finden, wenn sie sich dem jungen Französisch öffneten?

Juste comme ça !
Äh… Comass!

[1] Die dritte Person Plural, „sie“ im Deutschen, teilt sich in Französisch in zwei Geschlechter. Beschreibe ich eine Gruppe ausschließlich weiblicher Menschen, nutze ich „elles“. Für eine Ansammlung ausschließlich männlicher Menschen nutzt man „ils“. Handelt es sich hingegen um eine gemischte Gruppe mit auch nur einem Mann, so verwendet man ebenfalls “ils”.