Man macht in seinem Leben viele Veränderungen durch, und so kommt es dazu, dass aus Kindern Erwachsene werden. Im Idealfall legen wir dabei unsere Naivität ab, bewahren aber eine gewisse kindliche Leichtigkeit. Manchmal ist es anstrengend, diese Leichtigkeit gegen die Herausforderungen, die mit den Veränderungen im Leben einhergehen, aufrechtzuerhalten. Um eine solche Herausforderung soll es hier gehen.
Ich habe in diesem Jahr mein Abitur abgelegt, wollte aber nicht sofort mit dem Studium loslegen. Also nahm ich zwecks Finanzierung einer längeren Reise eine sechsmonatige Aushilfsstelle in der Produktion eines Wirtschaftsunternehmens an. Ich kam an und startete direkt mit einer Nachtschicht. Es war eine große Umstellung, nach 13 Jahren ruhiger Kopfarbeit plötzlich in großen Hallen, umgeben von Lärm und unangenehmen Gerüchen, körperlich zu arbeiten. Doch es lief ganz gut an und die Kollegen (ausschließlich Männer) schienen bezüglich der Arbeit verständnisvoll und hilfsbereit. Die Schicht ging von 22 Uhr bis sechs Uhr, doch nach fünf wurde nicht mehr groß gearbeitet und man fand sich hier und da zusammen, auf Paletten sitzend, und unterhielt sich. Dabei bekam ich zu hören, dass Frauen nur zum Kochen gut seien und selber Wäsche zu waschen “voll schwul” sei. Ich, ein 19-jähriger schwuler cis-Junge, saß daneben und lauschte mit einem unangenehmen Gefühl im Magen. Solche Äußerungen hatte ich in meinem schulischen Umfeld (ein Gymnasium auf dem Land) bisher höchstens von Achtklässlern gehört, die noch nicht viel über respektvollen Umgang gelernt hatten. Es machte mir ziemlich zu schaffen.
In den nächsten Wochen bekam ich immer wieder Kommentare dieser Art mit, jedes Mal mit einer Mischung aus Abscheu und Nervosität. Gern hätte ich irgendwie protestiert, aber das erschien mir unklug, schließlich war ich der Jüngste und obendrein nur Aushilfe. Obwohl ich mich langsam einfügte und an die wechselnden Schichten gewöhnte, blieb da nach wie vor ein Gefühl der Abgesondertheit von meinen Kollegen. Ich musste einen Teil von mir verheimlichen. Jeden Tag hatte ich Magenschmerzen vor Schichtbeginn. Um irgendwie damit klarzukommen, beschloss ich, ein wenig Ursachenforschung zu betreiben. Ich hörte meinen Kollegen zu, lernte etwas über ihre Lebenswege und Einstellung. Es schien mir, dass viele auf irgendeine Weise in dieser Abteilung, in der die Arbeit unangenehm war und kaum herausforderte, gestrandet waren. Viele waren frustriert, und es schien Spannungen zwischen der Belegschaft und der Geschäftsleitung zu geben. Schlechte Bedingungen für Harmonie und Toleranz am Arbeitsplatz.
Es gibt viele Gründe für Homophobie, Misogynie und allgemeine Intoleranz. In diesem spezifischen Arbeitszusammenhang erschien es mir, dass die unbefriedigenden Arbeitsbedingungen und Lebenssituationen der Männer ihre Offenheit für Neues besonders einschränkten. Genug Grund, um sich Gedanken über Vorurteile und Diversity in Organisationen zu machen. Diversity am Arbeitsplatz meint die Beschäftigung von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Ethnie, geschlechtlicher und sexueller Orientierung oder sozialer Zugehörigkeit in einer Organisation. Dies fördert nicht nur die wirtschaftliche Produktivität, sondern kann auch einen Prozess der geistigen Erneuerung anstoßen. Doch damit diversity funktionieren kann, muss aktiv daran gearbeitet werden, die neuen Menschen und Ideen zu integrieren. Vor allem müssen Vorurteile und Scheu überwunden werden, sodass das Team respektvoll und harmonisch zusammenarbeiten kann. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass es unter Arbeitsverhältnissen mit großem Stress leicht zur Ausgrenzung andersartiger Mitarbeiter*innen kommen kann, die eine gewisse Homogenität, durch die Stresssituation erträglich werden, zu stören scheinen. In solchen Situationen, wie sie auch an meinem Arbeitsplatz bisweilen herrschten, bedarf es zusätzlich eines organisatorischen Umbaus, um die Aufgaben und Strukturen humaner für die Angestellten zu gestalten und diversity erfolgreich umzusetzen.
Solche Bestrebungen existieren in Büroetagen, wo kreativ an Problemen gearbeitet und eine vielseitige Herangehensweise zunehmend vorteilhaft erscheint, natürlich schon lange. Doch in der tatsächlichen Produktion? Zwar existierte in meiner Abteilung eine gewisse diversity der Herkunft, doch waren die Kollegen dennoch alle männlich und hatten einen ähnlichen, geringen Bildungsstand. Und an Maßnahmen zur positiveren Zusammenarbeit mangelte es gänzlich. So herrschte ein rauer, unzivilisierter Ton und es schien, dass keinerlei Weichheit oder Sensibilität gezeigt werden durfte. Dass dies bei den langjährigen Mitarbeitern zu Verhärtung und Verstockung führte, wundert nicht.
Ist das ein Zustand, den man zulassen kann? Ich berichte hier nur aus persönlicher Erfahrung, doch mit Sicherheit gibt es anderswo vergleichbare Fälle. Es gibt also ganz eindeutig Bedarf an einer Kulturveränderung in so manchen Produktionsabteilungen, sowohl zum Wohle der langjährigen Mitarbeiter*innen als auch, um neue Kräfte besser willkommen zu heißen.
Nun, da hätten wir meinen idealistischen Lösungsansatz. So gehe ich gerne mit Herausforderungen um, ich betrachte sie genau und suche nach Lösungsansätzen. So kann ich sie verarbeiten und einen positiven Nutzen daraus ziehen. Man schult seinen Verstand an den schwierigen Dingen des Lebens und wird dadurch vielleicht ein bisschen weiser und versteht ein mehr vom Lauf der Welt. Doch dabei ist es auch wichtig, sich nicht in den Herausforderungen zu verlieren, sondern unsere Lebensfreude zu bewahren. Sie tragen wir aus der Kindheit heraus und halten sie nahe, damit wir all die neuen Erkenntnisse ertragen können.